Etablierte Marken statt Gadget-Anbieter:
Das Smart Home kommt anders als gedacht
Interview mit Dr. Bernd Kotschi, KOTSCHI CONSULTING
xx.xx.2015
Das Smart Home kommt – aber anders als gedacht
Der Smart-Home-Markt wächst schnell, davon ist Dr. Bernd Kotschi von Kotschi Consulting überzeugt. Aber anders als gedacht: »Alle etablierten Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen machen ihre Produkte marktfähig. Da wird etwas ganz anderes herauskommen, als die Gadgets, die wir heute noch sehen.«
Energie & Technik: Erleben wir jetzt den Kampf der Plattformen um das Smart Home?
Dr. Bernd Kotschi: Es haben sich einige Reihe von Plattformen und Allianzen gebildet wie HomeKit von Apple, Qivicon, Open Interconnect Consortium (Samsung, Intel, Dell, Atmel, Broadcom), ABB (Busch-Jaeger), Bosch und Cisco haben sich zusammengetan, das AllJoyn Framework der Allseen Alliance, Honeywell Evohome, Homematic (eQ-3), RWE um nur einige zu nennen. Für die Unternehmen, die Produkte entwickeln, die in die Plattformen eingebunden werden sollen, ist entscheidend, für welche Strategien die Plattformen stehen. Derzeit gibt es vier bis fünf Plattformen in der Liga von Qivicon, wobei Qivicon – was die Anzahl der Partner und damit der eingebundenen Geräte angeht – derzeit wohl in Führung liegt. Heute ist es aber kaum möglich vorherzusehen, welche Plattform künftig massenstückfähig sein wird.
Sie trauen beispielsweise Apple mit HomeKit oder auch Google nicht zu, demnächst massestücktauglich zu werden?
Ich gehe davon aus, dass sich für HomeKit eher die Gadget-Player entscheiden werden, die über ein begrenztes Angebot verfügen. Damit ist HomeKit ähnlich aufgestellt wie Smart Home von RWE, Somphy oder Nest. Auch die Samsung-Gruppe würde ich in diese Kategorie einordnen. Samsung bietet eigene Produkte an sowie die Produkte von über 20 weiteren Firmen, wie auf der IFA zu sehen war. Google plant wohl, etwas Ähnliches wie HomeKit zu machen, allerdings soll es ein offenes System sein, das nicht auf eigene Chips setzt. Das sind alles Angebote, die sich direkt an den Endkunden wenden und meist keine Installateure erfordern. Das trifft nicht immer zu, wenn man zum Beispiel unter Putz gehen muss, kommt man um einen Handwerker kaum herum. Digitalstrom ist beispielsweise eine Plattform, die meist einen Installateur erfordert. Der Vorteil für den Endkunden: Er bekommt einen Partner, der sich auskennt und ihn berät – solange es genügend Installateure gibt, die der Digitalisierung offen gegenüber stehen. Da befinden sich viele erst ganz am Anfang.
Dann gibt es ja noch die Standardisierungsbemühungen über Allianzen wie die AllSeen Alliance?
Auch das Open Interconnect Consortium und EEBus gehören dazu. Bei den Mitgliedern dieser Allianzen gibt es übrigens große Überschneidungen. Zudem gibt es Plattformen für die Industrie wie Control4, auf deren Basis Unternehmen eigene Smart-Home-Angebote aufbauen können.
Also doch eine sehr unübersichtliche, fragmentiert Landschaft?
Ja, das macht es Unternehmen und Endkunden gleichermaßen schwer: Welche Techniken soll ein Unternehme in seine Geräte einbauen? Welche weiteren Unternehmen setzen auf eine bestimmte Technik? Niemand wird fünf Chipsets in ein Gerät einbauen, um es auch nur für einige wenige Plattformen kompatibel zu machen. Im Moment kämpfen also die Plattformen wie Smart Things von Samsung, die ABB-Bosch-Cisco-Gruppe, Qivicon, RWE und Nest darum, möglichst viele Partner mit der eigenen Plattform kompatibel zu machen.
Wie sollten die potenziellen Partner ihre Plattform aussuchen?
Die Plattform-Anbieter und die Partner sollten sich genau überlegen, welche Marktsegmente sie adressieren wollen und dann entsprechend priorisieren und ein auf diese Zielgruppe zugeschnittenes Ecosystem schaffen. Allerdings gibt es derzeit wenige, die Interoperabilität systematisch aufbauen.
Ist EEBus nicht ein schöner Ansatz, um das Interoperabilitäts-Problem zu lösen?
Ganz so einfach ist es nicht. Das Problem der Hardware-Kompatibilität ist damit gelöst, aber das ist nur ein kleiner Teil des wirklichen Problems. Denn die Vernetzung der Hardware garantiert ja noch lange nicht das intelligente Zusammenspiel von Geräten unterschiedlicher Hersteller untereinander. Die Vernetzung der Funktionalitäten ist der springende Punkt und dazu müssen die Software-Entwickler tief in jedes einzelne Gerät einsteigen, um die Fäden zusammen führen zu können. Dann bleibt allerdings die Frage, wer für den Aufwand der Software-Entwicklung bezahlt.
Wenn der Endkunde einen Mehrwert sieht, wird er doch geneigt sein, dafür zu bezahlen?
Falls es gelingt, einen Mehrwert zu schaffen. In den USA gibt es dafür Beispiele. AT&T geht von Sicherheitssystemen aus und steigt von diesem Kerngeschäft aus in den Smart-Home-Markt ein. Alarmanlagen bilden den Ausgangspunkt, darauf werden zusätzliche Services aufgesetzt, für die der Kunde bezahlt. Allerdings sehe ich solche Ansatzpunkte in Deutschland bisher nicht. Der Sicherheitsaspekt spielt gerade in Deutschland kaum eine Rolle, nur 6 Prozent der Haushalte haben Alarmanlagen installiert, in Frankreich sind es 20 Prozent, in Großbritannien zwischen 30 und 40 Prozent. Wer sich das in Deutschland schönreden will, der spricht von einem hohen Potenzial.
Es gibt derzeit ja auch wenige Dienstleistungen, die der Endkunde in Anspruch nehmen könnte?
Ja, die Enddienste fehlen. Und das ist wiederum zuerst ein Hardware-Thema. Denn um Dienstleistungen auf Basis viele im Smart Home gesammelter Daten aufbauen zu können, müssen eben viele Geräte mit Sensoren ausgestattet werden. Die etablierten Marken fangen jetzt aber erst an, ihre Geräte mit Sensoren zu versehen. Alle Unternehmen, die Geräte entwickeln und anbieten, die sich im Heim vernetzten lassen, denken jetzt darüber nach, wie sie beispielsweise Sensoren und Aktuatoren in Fenstern integrieren können. Das sind in den meisten Fällen Firmen, die dem deutschen Mittelstand angehören. Diese Firmen denken über das Problem grundsätzlich anders, als beispielsweise Unternehmen, die heute schon externe Sensoren anbieten, die etwa über ZigBee kommunizieren.
Ob Heizung, Elektrik, Fenster oder Rollladen – all diese Sektoren bilden die Kernmärkte für bestimmte Firmen und diese Firmen werden die Sensoren und Aktoren ihre jeweiligen Produkte für diese Kernmärkte integrieren. Dieser Trend ist jetzt bereits klar ersichtlich. Wenn er sich betätigt, stellt sich die Frage, warum für das Smart Home Zusatzgeräte überhaupt erforderlich sein sollen.
Alles die schönen neuen Geräte und Sensoren, die jetzt das Smart Home ermöglichen sollen, könnten schon in Kürze überholt sein?
Ich gehe davon aus, dass die meisten Anwender keine Aktoren und Sensoren kaufen, die extern beispielsweise an Fenster oder Türen angebracht werden müssen. Firmen, die zusätzliche Sensoren und Aktoren anbieten verlangen dafür oft 70 bis 80 Euro pro Stück. Da dürfte schon die Preisschwelle zu hoch sein. Wenn im Jahr 2020 tatsächlich wie von Marktforschern vorhergesagt pro Haushalt im Durchschnitt 50 bis 100 Smart-Home-kompatible Geräte arbeiten, dann werden die Sensoren und Aktoren in den entsprechenden Geräten integriert sein.
Wie sollte ein Unternehmen, das Geräte für den Smart Home-Markt anbieten will, also vorgehen?
Es sollte genau schauen, auf welchen Plattformen es heute schon einen Mehrwert für den Kunden anbieten kann. Von diesem Kern aus kann es dann zur nächsten Stufe der Vernetzung gehen. Weiße Ware könnte etwa so ein Kern sein. Sind die diese Geräte untereinander vernetzt, dann kann sich der Hersteller überlegen, ob es für seine Kunden sinnvoll wäre, über eine weitere Schale der Vernetzung zusätzliche Produkte einzubinden. Der Hersteller sollte sich also jetzt schon im Klaren darüber sein, welche Rolle er im Smart Home spielen will, und nach dem Modell der Zwiebelschalen vorangehen.
Wer schon vor Jahren vorgeprescht ist und einfach mal so viel wie möglich vernetzen wollte, hat jetzt das Nachsehen?
Alle, die ohne wirkliches Konzept vorangeprescht sind, sind jetzt jedenfalls auf den Boden der Realität gelandet.
Nicht jedes Unternehmen kann also alles im Smart Home machen?
Es kommt darauf an, in welchen Bereichen die Endkunden bestimmten Marken vertrauen. Für die Unternehmen kommt es darauf an, ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzten. Wenn ein Energieversorger plötzlich Alarmanlagen anbietet, könnte es sein, dass er ein Problem mit der Glaubwürdigkeit bekommt. Denkt der Kunde an Sicherheit, dann fallen ihm bestimmt andere Markennamen ein als ein Energieversorger. Da hat so manch einer bisher ja auch schon viel Lehrgeld bezahlt.
Das kling für das Smart Home alles nicht gerade besonders optimistisch…
…doch, unter der Oberfläche tut sich sehr viel, alle etablierten Unternehmen aus den unterschiedlichen Branchen sind dabei, ihre Produkte marktfähig zu machen. Das wird etwas ganz anderes herauskommen, als die Gadgets, die wir heute noch so häufig sehen. Das werden auch die Endkunden erkennen und dann wird Smart Home plötzlich glaubwürdig. Was die Glaubwürdigkeit angeht, haben die etablierten Markenfirmen gegenüber den Start-up-Unternehmen einen Vorteil.
Wann kommt also das Smart Home?
Ab 2016 werden viele vernetzungsfähige Geräte auf dem Markt kommen, dann können zusätzliche Services Einzug halten und eine große Zahl von Endkunden wird einen Mehrwert für sich sehen. Ich rechne damit, dass der Smart-Home-Markt ab 2017 so richtig loslegen wird.
Dr. Bernd Kotschi, Kotschi Consulting: »Wenn im Jahr 2020 tatsächlich pro Haushalt im Durchschnitt 50 bis 100 Smart-Home-kompatible Geräte arbeiten, dann werden die Sensoren und Aktoren in den entsprechenden Geräten integriert sein.«